Kurzes 20. Jahrhundert

Das kurze 20. Jahrhundert“ ist ein von dem Historiker Iván T. Berend geprägter Begriff, der der Tatsache Rechnung trägt, dass Jahrhunderte als Einteilung historischer Epochen denkbar ungeeignet sind (da sich historische Ereignisse nicht an Jahreszahlen halten). Populär wurde dieses Konzept, nachdem der britische Historiker Eric Hobsbawm es 1994 in seinem vielgelesenen Buch Das Zeitalter der Extreme verwendet hatte.[1]

Das 20. Jahrhundert wird in diesem Zusammenhang als „kurz“ bezeichnet, da die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg dem 19. Jahrhundert noch sehr ähnelte, während der Krieg mit seiner totalen Mobilmachung und noch mehr das Ende des Krieges mit seinen großen Umstürzen (Revolutionen in Russland 1917, in Deutschland und Österreich 1918) eine neue Gesellschafts- und Weltordnung sowie der Untergang der Monarchie in mehreren europäischen Ländern eine politische Neuordnung von Teilen Mittel- und Osteuropas und des Balkans mit sich brachte.

Andererseits ging – mit dem Ende der Sowjetunion 1991 und der bereits seit 1989 erfolgten Öffnung vieler Länder des Ostblocks dem Westen gegenüber – der die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts bestimmende Ost-West-Konflikt (Kalter Krieg) zu Ende, so dass davon auszugehen ist, dass mit diesem Zeitpunkt wieder eine neue Epoche begonnen hat. Die Zeit von 1914 bis 1989 wird auch „Jahrhundert der Ideologien“ (auch: „der Extreme“ oder „der Gegensätze“) bezeichnet, da sich in dieser relativ kurzen Zeit die Herrschaft divergierende Ideologien wie Faschismus und Kommunismus herausgebildet und ihr Ende gefunden hat, sowie wissenschaftlicher Fortschritt sich im Guten wie im Schlechten wie nie zuvor zeigte (Atombombe, Luft-, Raumfahrt und Mondlandung, Medizin und Medizintechnik, Fernsehen und andere Massenmedien).

Da die für das 20. Jahrhundert als charakteristisch angesehene Epoche somit nur circa 75 Jahre umfasst, scheint das 20. Jahrhundert um ungefähr 25 Jahre „zu kurz“. Analog dazu fasst man auch die Epoche von 1789 bis 1914 als Einheit und spricht vom „langen 19. Jahrhundert“. Getrennt werden diese beiden Jahrhunderte durch die sogenannte „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, den Ersten Weltkrieg. Das 20. Jahrhundert wird auch „das Jahrhundert Amerikas“ (the American century) bezeichnet, während das von den europäischen Kolonialmächten wie Großbritannien oder Frankreich (und ab ca. 1880 auch Deutschland) beherrschte 19. Jahrhundert als „europäisches Jahrhundert“ gilt, da die USA um die Jahrhundertwende herum zur wirtschaftlich mächtigsten Nation der Welt aufstiegen und mit der Zerstörung Europas in zwei Weltkriegen 1917, spätestens aber 1945 auch zur neben der Sowjetunion einzigen politischen Großmacht bzw. Supermacht wurden.

  1. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 1995, S. 11, ISBN 3-446-16021-3.

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